Mit Blick auf die langwierigen Tarifverhandlungen im Einzelhandel kritisiert der Handelsverband Deutschland (HDE) die fehlende Einigungsbereitschaft der Gewerkschaft ver.di. Mit der aktuellen Verzögerungstaktik gefährde diese das Modell der dezentralen Verhandlungen in den Bundesländern. Wenn die ver.di-Landeskommissionen aus der Bundeszentrale weiter so wenig Verhandlungsspielraum bekämen, müsse man für die Zukunft über eine zentrale Aushandlung des Einzelhandelstarifs im Bund nachdenken.
Die Arbeitgeber haben in den bisher rund 45 Verhandlungsrunden bundesweit bereits mehrfach Angebote vorgelegt und nachgebessert, auf Gewerkschaftsseite sieht man hingegen keinen ernsthaften Willen zur Einigung. „Auf der Arbeitgeberseite koordinieren wir die ersten Angebote zum Einstieg in die Tarifrunde sehr eng. Wenn es aber gegen Ende der Verhandlungen darum geht, tragfähige Lösungen zu finden, haben alle Arbeitgeberkommissionen die notwendige Beinfreiheit. Genau das fehlt auf der ver.di-Seite. Die gewerkschaftlichen Länderkommissionen scheinen regelrecht entmündigt“, so HDE-Tarifgeschäftsführer Steven Haarke. Vielerorts hätten Gewerkschaftler vor Ort Bereitschaft zu einem Abschluss signalisiert und seien dann aber aufgrund der Vorgaben aus der ver.di-Bundeszentrale zurückgezuckt. „Dass die Gewerkschaft uns als Arbeitgeber öffentlich dann auch noch eine Blockadehaltung vorwirft, kann nur als schlechter Witz verstanden werden“, so Haarke weiter.
Sollte ver.di den dezentralen Verhandlungsansatz im Einzelhandel weiterhin derartig entwerten, müsse man konsequenterweise zukünftig zentral verhandeln. Haarke: „Der HDE steht dafür zur Verfügung, die Diskussionen dazu sind längst angelaufen.“ Noch im November 2022 hatte man seitens des HDE ver.di angeboten, die Tarifrunde mit einer gemeinsamen Auftaktveranstaltung aller Tarifgebiete im Frühjahr 2023 vorzeitig einzuläuten. Die ver.di-Spitze lehnte das damals umgehend unter Verweis auf die angebliche Stärkung der dezentralen Verhandlungsstrukturen ab. Haarke: „Umso bitterer ist es, dass ver.di nun offenbar die eigenen dezentralen Prinzipien über Bord geschmissen hat. Das passt doch nicht zusammen, für regionale Verhandlungen und Abschlüsse brauchen die Kommissionen vor Ort endlich das Vertrauen und auch die notwendige Beinfreiheit der Gewerkschaftsspitze.“
Die Tarifrunde im Einzelhandel ist auch vor dem Hintergrund der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage herausfordernd. Inflation, Wirtschaftskrise, Kaufzurückhaltung - das sind keine idealen Rahmenbedingungen für den Handel. Sie treffen im Ergebnis die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aller Handelsunternehmen, auch wenn diese unterschiedlich robust sind. „Einen tariflichen Ausgleich der Geldentwertung für 24 Monate Laufzeit können wir uns schon vorstellen. Das zeigt ja auch unser letztes Angebot, nach dem die tariflichen Löhne und Gehälter über die Laufzeit von 24 Monaten um insgesamt rund 8,5 Prozent steigen würden“, so Haarke. „Wir haben sogar klar signalisiert, dass wir für einen Abschluss bereit wären, das Angebot noch etwas zu justieren.“ Der kluge Einsatz der Inflationsausgleichsprämie schaffe dafür die Gestaltungsspielräume mit einer klassischen Win-Win-Situation, wie man es auch in anderen aktuellen Tarifabschlüssen großer Branchen bei einer meist 24-monatigen Laufzeit gesehen habe. Die Beschäftigten erhielten eine zusätzliche Prämie ohne Abzüge, die Arbeitgeber sparten ebenfalls Beiträge. Haarke: „Wir müssen aber immer berücksichtigen, dass viele Handelsunternehmen schwer unter der Krise leiden. Da dürfen wir keine Überforderung riskieren, deren Schmerzgrenze ist bereits jetzt maximal ausgereizt. Unrealistische Forderungen können wir daher nicht erfüllen.“